Ludwigsburger Kreiszeitung vom 06. November 2025
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum bedroht die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt. Dies ist das alarmierende Fazit einer aktuellen Studie. Die Wohnungswirtschaft will eine Kehrtwende. Zu den Schlusslichtern beim Wohnungsmarkt zählt der Kreis Ludwigsburg.
Stuttgart/Kreis Ludwigsburg. Zum wiederholten Mal haben Vertreterinnen und Vertreter von wohnwirtschaftlichen Verbänden und Bausparkassen im Land auf den eklatanten Mangel an bezahlbaren Wohnraum hingewiesen und Sofortmaßnahmen der Landesregierung gefordert. Dies taten sie auf Basis einer aktuellen Wohnungsmarkt-Studie des Pestel-Instituts in Hannover, das im Auftrag von sieben Verbänden der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie der Arbeitsgemeinschaft von vier baden-württembergischen Bausparkassen erstellt wurde. Der Druck auf die Wohnungsmärkte wächst.
Strategisch gut platziert haben die Verbandsvertreter ihre Forderungen im Vorfeld der dritten Jahresveranstaltung des Strategiedialogs „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“ am Freitag in Stuttgart. Bei diesem sollte nach Ansicht von Iris Beuerle vom Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmer vbw nach dem Vorbild des Hamburg-Standards ein eigener Baden-Württemberg-Standard entwickelt werden, um einfacheres und damit kostengünstigeres Bauen mit reduzierten Standards zu ermöglichen.
Gestiegene Baulandpreise im Land von knapp 171 Euro pro Quadratmeter 2008 auf 357 Euro 2024 tun ein Übriges. „Bauen ist in den letzten Jahren zu teuer geworden“, beklagte Verbandsdirektorin Beuerle. Gerald Lipka. Geschäftsführer des Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen BFW, bedauerte, dass es beim Strategiedialog zwar viele gute Ergebnisse und einen guten Austausch gebe, es aber an der Umsetzung mangele.
Gegensteuern hätte man schon seit 2022 müssen, meint er. Gemeinsam mit den übrigen Branchenvertretern fordert Lipka vom Land Sofortmaßnahmen wie die Abschaffung oder Senkung der Grunderwerbsteuer, ein Wohnungsbau-Kreditprogramm mit einem Zins von maximal zwei Prozent, Förderprogramme für junge Familien, den Bau von kleineren Seniorenwohnungen, verbilligtes Bauland sowie die 100-prozentige Kofinanzierung der Bundesmittel beim sozialen Wohnungsbau. Angesichts von 1,3 Millionen Haushalten mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein reichen laut Matthias Günther vom Pestel-Institut 55.000 Sozialwohnungen im Jahr im Land nicht aus. Es fehlen vor allem bezahlbare Wohnungen zwischen acht und zehn Euro pro Quadratmeter Kaltmiete. „Viele Haushalte mit normalen Einkommen können sich in den Ballungsräumen kaum noch eine Wohnung leisten. Das ist kein Randthema – das betrifft die Mitte der Gesellschaft“, sagt Günther. Für viele Beschäftigte im Niedriglohnsektor seien Wohnungen unbezahlbar, fügt er hinzu und fragt sich, ob Kinder zum Luxusgut würden. Den Wohnungsmangel sieht er als strukturelles Problem, das tief in Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkt. Sorgen macht ihm auch der hohe Langzeitleerstand bei Mietwohnungen von sechs Prozent, den er unter anderem auf die zunehmende Regulatorik im Mietrecht und Mietpreisrecht zurückführt.
Laut Studie fehlen im Land derzeit 192.000 Wohnungen. In 41 von 44 Stadt- und Landkreisen herrscht ein Wohnungsdefizit. Dieses entspricht dem Wohnungsbau von rund vier Jahren. Der Rückstand wird sich laut Günther noch vergrößern, die Neubauten reichen nicht aus. Die Baugenehmigungen lagen in den vergangenen 15 Jahren bei rund 40.000 bei einem Bedarf von rund 60.000. Günther erwartet einen Rückgang auf 30.000 Genehmigungen.
Ein Minus von 16 Prozent 2024 bei fertiggestellten Wohnungen beklagt Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Laut Pestel-Institut sind im Kreis Ludwigsburg 2800 Wohnungen im Jahr nötig. In den ersten fünf Monaten 2024 gab es aber nur 140 Baugenehmigungen. „Wenn Wohnraum zum Luxusgut wird, verlieren Städte ihre soziale Balance – und Unternehmen ihre Fachkräfte“, warnt Günther. Betriebe würden die Erfahrung machen, dass Beschäftigte nach Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags vier Wochen später absagen, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden.
Günther erinnerte daran, dass Baden-Württemberg nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel aufweist, der sich von Jahr zu Jahr verstärkt. Die Stabilität der Zahl an Erwerbsfähigen in den letzten 15 Jahren konnte laut Günther nur durch die Zuwanderung von knapp 900.000 Menschen oder 60.000 Personen je Jahr erreicht wurde, wozu Günther auch die Schutzsuchenden zählt. Deutschland gelte als eines der unattraktivsten Länder bei der Zuwanderung aufgrund bürokratischer Hürden und mangelndem Wohnraum, so Günther. Die von Bundeskanzler Friedrich Merz angestoßene Stadtbilddebatte sei nicht gerade hilfreich gewesen.

